Neues Leben mitten in der Flut

Der Schatten des Hubschraubers folgt uns dicht auf dem braunen Flutwasser. Wir fliegen tief über die überschwemmten Häuser und Felder. Dann erkennen wir auf der anderen Flussseite das gesuchte Flüchtlingslager Chinacanine. Was wird uns dort erwarten?

Bereits im Landeanflug sehen wir die verschiedenen Notunterkünfte. Behelfsmässig wurden einfache Hütten aus Planen und alten Wellblechstücken errichtet. Kinder tollen zwischen den provisorischen Unterkünften herum. Rauch steigt von kleinen offenen Feuerstellen auf, während auf angrenzenden Büschen einige wenige Kleidungsstücke trocknen. Unmittelbar nach der Landung begibt sich ein Erkundungsteam, das sich aus Mitarbeitenden von verschiedenen Hilfswerken zusammensetzt, in das Lager. Es gilt genau abzuklären, welche Hilfeleistungen für die Not leidende Bevölkerung am dringendsten benötigt werden.

Ich mache mir zu Fuss ein Bild des Lagers. Dabei frage ich mich, wie es wäre, wenn ich hier mit meiner Familie leben müsste. Die Menschen hier haben praktisch alles verloren und sind gerade noch einmal mit ihrem Leben davongekommen.

Meine Gedanken werden durch das Schreien eines Babys unterbrochen. Die Eltern lachen mich an und winken mich zu ihrer Hütte. Der Vater schüttelt mir freudig die Hand und stellt mich seiner jungen Frau vor. Sie heissen Fernando (33) und Sofia (23) Mulimo. Als Kleinbauern bestreiten sie ihren kärglichen Lebensunterhalt etwas weiter stromaufwärts.

Vater Mulimo war eben damit beschäftigt, mit einem Stück altem Draht ein verrostetes Wellblech an ein paar Holzpfosten zu binden. Dieses soll der jungen Familie etwas mehr Schutz vor der brennenden Sonne bieten.

Mein Blick fällt auf das winzige Baby in den Armen von Sofia. Ich frage sie nach ihrer Geschichte. «Die Zeit der Niederkunft kam gleichzeitig mit der Flutkatastrophe», berichtet die junge Mutter. «Ich hatte grosse Angst. Warum musste ausgerechnet jetzt eine Flut kommen?»

Trotz der Umstände verlief die Geburt reibungslos. Die Eltern nannten das gesunde Mädchen Maria. Es blieb jedoch keine Erholungszeit. Die Flut kam rasend schnell. Bereits stand das Wasser in ihrer Hütte kniehoch. Hastig packte Fernando ihre wenigen Habseligkeiten. Zusammen mit hunderten Anderen flüchtete die junge Familie in das sichere Auffanglager. «Wir haben fast alles verloren», erzählt Fernando und zeigt auf einige verbeulte Kochtöpfe und einen kleinen Beutel Maiskolben. Während andere im Dorf ihre Habseligkeiten auf das Dach retten konnten, war dies für die Familie Mulimo nicht möglich. Sie bewohnten eine kleine Hütte mit Grasdach, welche von den Fluten mitgerissen wurde.

Sofia rührt gedankenversunken in einem kleinen Kochtopf über dem offenen Feuer. «Wie viel Maisbrei habt ihr noch übrig?», frage ich Fernando. «Noch für drei Tage», antwortet er – und das war vor einer Woche.